19. November 2025
Die Außenpolitik der Bundesregierung gewann gegenüber China kaum an Fahrt. Während sich hochrangige Politiker aus der ganzen Welt in Peking die Klinke in die Hand geben, irritieren deutsche Spitzenpolitiker eher durch verstörende Aussagen und mangelnde Dialogbereitschaft auf Augenhöhe. Als erstes Kabinettsmitglied der Regierung Friedrich Merz ist Lars Klingbeil derzeit in China zu Gast.
Nach der bereits ein halbes Jahr zurückliegenden Bundestagswahl ist die Chinareise von Bundesfinanzminister Klingbeil ein lange überfälliger Besuch. Und Klingbeil schlug in China durchaus konstruktive Töne an und konnte damit Erfolge in den weltwirtschaftlich schwierigen Zeit verbuchen. Es sei "wichtig, mit China zu sprechen, statt über China zu sprechen", sagt Klingbeil.
Klingbeil hat zum Abschluss seiner Reise nach China insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Peking im Bereich der Innovation gelobt. Er forderte zugleich einen fairen Wettbewerb sowie einen sicheren Zugang zu kritischen Rohstoffen. Der Minister sagte in Shanghai, die deutsche Regierung sei sehr willkommen in China.
Vizekanzler Klingbeil macht deutschen Unternehmen Hoffnung auf einen einfacheren Zugang zu Rohstoffen wie seltenen Erden aus China. Man habe ihm zugesagt, dass die deutschen und europäischen Sorgen über Ausfuhrbeschränkungen ernst genommen würden, «und dass wir gemeinsame Lösungen im Sinne eines verlässlichen Zugangs und im Sinne verlässlicher Lieferketten finden wollen», sagte der Finanzminister nach Gesprächen mit dem chinesischen Vizepremier He Lifeng in Peking. Später wurde Klingbeil noch einmal deutlicher und erklärte, dass es «zu Lösungen kommen wird» und «dass es zu verlässlichen Lieferketten kommt». «Das sagt die chinesische Seite nicht, wenn man das nicht auch so meint», zitiert ihn DPA.
Klingbeil warb in China für eine erweiterte Kooperation mit der Volksrepublik - nicht nur bei Handel und Rohstoffen, sondern auch in der Klimapolitik, bei globaler Gesundheit und finanzpolitischer Stabilität. Sein Gesprächspartner He ist in der chinesischen Regierung für das Thema Finanzen zuständig und hat die Volksrepublik in die jüngsten Verhandlungsrunden mit den USA im Zollstreit geführt. Er sagte nach dem Treffen mit der deutschen Delegation, beide Seiten hätten ihre Bereitschaft betont, Stabilität und Sicherheit in der weltweiten Lieferkette zu stärken.
Fairer Wettbewerb gefordert
Der Vizekanzler sprach in China auch Probleme und kontroverse Themen an. Klingbeil beklagte im Gespräch mit Vizepremier He Lifeng chinesische Überkapazität in Schlüsselsektoren wie Stahl, Solar oder Elektromobilität. «Wir sehen hier von deutscher Seite einen fairen Wettbewerb gefährdet und sehen auch, dass Industriearbeitsplätze und Arbeitsplätze außerhalb Chinas auch bei uns in Deutschland gefährdet sind», sagte er. Konkrete Zugeständnisse konnte er Peking jedoch nicht abringen. Gemeinsame Lösungen zu finden heiße, unfaire Wettbewerbsbedingungen sein zu lassen, betonte Klingbeil. «Sonst, und das war sehr klar, auch von meiner Seite, werden wir in Europa zu Maßnahmen greifen», erklärte er.
He warb um Investitionen aus Deutschland. «Die chinesische Seite lädt deutsche Firmen ein, nach China zu kommen, um zu investieren», sagte er. Chinas Firmen würden parallel ermutigt, in Deutschland Niederlassungen zu gründen. Mit Blick auf Streitigkeiten mit der EU sagte er, China hoffe, dass Deutschland seinen Einfluss nutze, damit man sich wieder aufeinander zubewege. Brüssel hatte unter anderem Zölle auf chinesische Elektroautos verhängt. China konterte mit Anti-Dumping-Untersuchungen für bestimmte EU-Produkte.
Was fairer Handel ist, wird jedoch nicht mehr schwerpunktmäßig in Washington oder der EU definiert. Subventionen beispielsweise pro produzierter Batterie dürften in Deutschland bei genauer Betrachtung höher sein als in China. Und Deutschlands außenwirtschaftlich ausgerichtetes Exortmodell hat beispielsweise in der Autoindustrie eine Exportquote von über 80 Prozent und damit gewaltige Überkapazitäten. Miteinander reden – das bedeutet im nächsten Schritt gemeinsame Definitionen für solche Problemkomplexe zu finden.
Chinesisch-deutscher Finanzdialog
Doch der Anlas für die Chinareise des Finanzministers war weniger Krisendiplomatie, sondern der regelmäßige chinesisch-deutsche Finanzdialog. Der besteht seit 2015 und ist das Forum für den direkten Austausch zwischen den beiden Ländern.
In Klingbeils Delegation reist deshalb der halbe deutsche Finanzsektor mit: Vorstandsmitglieder von Bundesbank, Bundesfinanzaufsicht und Deutscher Börse, dazu die großen Privatbanken und Versicherer. Um "faire und transparente Bedingungen" gehe es, sagt Klingbeil in seinem Eröffnungsstatement, um den "gegenseitigen Zugang zu Märkten, auch zu Finanzmärkten", um einen "verlässlichen Rechtsrahmen".
Probleme in Deutschland lösen
Klingbeil und die Europäer klagen zu Recht über chinesische Subventionen und Überkapazitäten. Und wo es keinen fairen Wettbewerb gibt, muss man auch über protektionistische Instrumente nachdenken. Doch darf bei all dem nicht verdrängt werden, dass ein großer Teil der Probleme auf die zunehmend schwindende Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zurückzuführen ist. China wird stärker, Deutschland ist zuletzt aber auch schwächer geworden.
Wenn der Vizekanzler von seinem Chinabesuch eine Lehre mit nach Hause nimmt, dann sollte es diese sein: Kommt Deutschland nicht endlich zurück auf Wachstumskurs, wird es international immer stärker zum Bittsteller degradiert, nicht nur in Peking. Eine starke Wirtschaft ist nicht nur Basis für den Wohlstand in Deutschland, sondern auch für den Einfluss in der Welt, schreibt Jan Hildebrand im "Handelsblatt".
Wo bleibt der Kanzler?
"Der falsche Mann ist gerade mit der falschen Botschaft in Peking unterwegs. Das ist ganz offensichtlich, auch wenn die Nachrichtenlage in den Agenturen und regierungsfreundliche Kommentare anderes nahelegen. Lars Klingbeil ist der falsche Mann, denn eigentlich hätte Bundeskanzler Friedrich Merz gerade dringend nach China reisen müssen. Nur das wäre das korrekte Signal der deutschen Bundesregierung gewesen, dass sie China ernst nimmt, obwohl der eigene Außenminister vor Kurzem seine Reise dorthin abgesagt hat", so Chinakenner Henrik Bork.
Cui Hongjian von der Beijing Foreign Studies University betonte, Klingbeil solle sich in Beijing auf sein Hauptmandat konzentrieren: die wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit. Doch die Rahmenbedingungen bleiben herausfordernd. Parallel zu Klingbeils Reise berichtete Politico, der Bundestag habe am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, das den Einsatz von Komponenten bestimmter Hersteller in kritischen Infrastrukturen untersagen kann – ein Schritt, der als gegen chinesische Technologieanbieter wie Huawei gerichtet gilt. Bereits Anfang des Monats hatte Reuters über Pläne der Koalition berichtet, die Chinahandelspolitik einschließlich Energie- und Rohstoffimporten sowie chinesischen Investitionen in kritische deutsche Infrastruktur umfassend zu überprüfen.
Jiang kritisierte, die deutsche Regierung neige dazu, Wirtschaftsfragen mit China zu Sicherheitsfragen umzudeuten. Dies untergrabe nicht nur etablierte Handelsregeln, sondern schädige das globale Handelssystem, von dem die deutsche Exportwirtschaft abhänge.
Cui Hongjian verwies auf den grundlegenden Widerspruch in der deutschen Haltung: Während der Finanzminister in Peking Kooperation beschwöre, verschärfe Berlin zugleich die Restriktionen. „Wenn Deutschland ernsthaft mit China zusammenarbeiten will, braucht es eine kohärente Strategie und muss das verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Ohne Vertrauensbildung bleibt jede Kooperationsrhetorik leer.“
Bundeskanzler Merz verspielt Vertrauen und Zukunft
Doch während Klingbeil in China um Vertrauen und konkrete Lösungen für Probleme warb, machte der Bundeskanzler Zeitgleich auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutsche Zeitung das Gegenteil. Die Entwicklung in China sei „nach innen immer repressiver, nach außen immer aggressiver“, sagte Merz. Er sei zudem entsetzt, wie hoch die Abhängigkeit Europas etwa von Medikamenten aus China und Indien sei. März setzt auf Verbote von chinesischer Zukunftstechnologie und Marktbarrieren. Eine neue China-Kommission soll nun helfen.
Doch bei der Mehrheit der Staaten dürfte eher ein Bild vorherrschen, das „nach innen immer repressiver, nach außen immer aggressiver“ eher in den USA sieht. Nicht China ist das Problem, sondern der verdiente Aufstieg von Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen die Mehrheit der Weltbevölkerung wohnt. Für einige Politiker im Westen ist das eher ein psychologisches Problem der einstigen Weltmarkt-Beherrscher.
Das zeigte sich auch beim Weltklimagipfel in Brasilien. Der Bundeskanzler hat sich beim Gastgeberland der diesjährigen Weltklimakonferenz unbeliebt gemacht. Nach seinem Kurztrip zur COP30 hatte er sich negativ über den Austragungsort Belém geäußert, eine auch für brasilianische Verhältnisse arme Metropole. Auf einem anschließenden Handelskongress erzählte Friedrich Merz: „Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Die waren alle froh, dass wir vor allen Dingen von diesem Ort, an dem wir da waren, in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der Belém bewusst ausgewählt hat, um der Welt die Klimakrise am Amazonas vor Augen zu führen und zugleich die harte soziale Realität in einer Millionenmetropole im Globalen Süden, konterte: Merz hätte in eine Bar gehen, dort tanzen und die lokale Küche probieren sollen, „denn dann hätte er gemerkt, dass Berlin ihm nicht einmal zehn Prozent der Qualität bietet, die der Bundesstaat Pará und die Stadt Belém bieten“, sagte Lula. Jeder wisse, dass die Stadt arm sei, aber „ein so großzügiges Volk“ habe „wie kaum ein anderer Ort auf der Welt“.
Die Bemerkung des Kanzlers griffen etliche brasilianische Medien auf. Das Nachrichtenportal Diário do Centro do Mundo schrieb von einem „unverschämten Vergleich“. Auch der Bürgermeister der Stadt reagierte auf Merz’ Aussagen und bezeichnete diese als „unglücklich, arrogant und voreingenommen“.
Hinzu kommt das Versagen der deutschen Klimapolitik beim Weltklimagipfel. Verkehrte Welt für Merz: Deutschland, einst Vorreiter der Energiewende, hatte kaum etwas Konstruktives in Belém zu bieten. Schwellen- und Entwicklungsländer sind jetzt die Vorreiter und suchen zusammen nach globalen Lösungen. Allen voran China, in dem mehr als die Hälfte aller grünen Energie installiert ist, mehr als die Hälfte aller Elektroautos der Welt fahren, die Wirtschaft und Einkommen immer noch im Jahr um über fünf Prozent zulegen. Wie dieser ökologische Umbau funktionieren kann und gleichzeitig der Wohlstand der Bevölkerung steigt, zeigte China auf dem Weltklimagipfel in praktischen, erprobten Anwendungen. Nicht Ankündigungen, Kommissionen, einseitige Verbote zählen. Im Endeffekt zählt der Erfolg. Dieser braucht jedoch mehr denn je eine intensivere globale Kooperation.
Eine wirklich konstruktive, zukunftsfähige Außenpolitik ist jedoch recht einfach, wie Klingbeils Reise nach China zeigte: Dialog auf Augenhöhe, gemeinsam nach Problemlösungen suchen. Das Gegenmodell davon dürfte für die Weltmehrheit der amerikanische Präsident Donald Trump repräsentieren. Bundeskanzler Merz wirkt dabei öfter wie sein Juniorschüler. Damit lassen sich jedoch weder die deutschen, noch die Weltprobleme lösen.
Links
VIDEO. Klingbeil in China: Miteinander reden, statt übereinander
Joint Statement of the 4th China-Germany High Level Financial Dialogue
Vertrauensbildung als Schlüssel. Deutscher Finanzminister bricht zu „Eisbrecher“-Mission nach China auf
Der deutsche Finanzminister besucht Peking: Von komplementären Beziehungen hin zur Förderung fairen Wettbewerbs – nimmt eine neue China-Strategie Gestalt an? (chin.)
Deutsche Medien berichten über den ersten Besuchstag von Finanzminister Klingbeil in China (chin.)
He Lifeng: China und Deutschland vereinbaren Stärkung der makroökonomischen Politikkoordinierung (chin.)
Der deutsche Finanzminister: Zwischen China und Deutschland bestehen Wettbewerb und Unterschiede, aber ich glaube, dass gute Beziehungen dennoch aufrechterhalten werden können
Klingbeil verspricht sichere Lieferketten bei seltenen Erden: China hört unsere Sorge
Shanghai. Klingbeil dringt nach China-Besuch auf fairen Wettbewerb und Zugang zu Seltenen Erden
China sagt laut Klingbeil weitere Rohstofflieferungen zu
Minister mit Mission. Klingbeils Charme-Offensive in China
Klingbeil hat in China den richtigen Ton getroffen
Lars Klingbeil in China: Mit China reden
Der Irrweg der deutschen China-Politik
Wirtschaftsbeziehungen. China ist selbstbewusst, Deutschland hilflos
Lars Klingbeils China-Besuch - Der falsche Mann mit der falschen Botschaft
Einen Wirtschaftsschwächling nimmt niemand ernst
ASIA MEDIA SERVICE, Dr. Thomas Kiefer
Foto: Lars Klingbeil © Bundesregierung/Jesco Denze
Drag and Drop Website Builder