1. September 2024
Forderung nach Decoupling zwingt deutsche Autokonzerne verstärkt in China zu investieren und zu forschen
Chinakenner und Automanager Daniel Kirchert warnt: „Für europäische Autohersteller ist es fünf Minuten vor Mitternacht“. Kirchert sieht in den Zusatzzöllen der EU auf chinesische Elektroautos einen „katastrophalen politischen Fehler.“ Ohne günstige Elektroautos könne Europa seine Klimaziele kaum erreichen. Zu hoffen ist, dass es nicht bereits fünf nach zwölf ist und Europa den technologischen Anschluss verpasst und damit die neuen Wachstumsmärkte verliert. In den Wachstumsmärkten, in denen die Bevölkerungsmehrheit der Welt wohnt, entscheidet sich auch ob die Klimaziele erreicht werden können.
Kuddelmuddel der EU sorgt für Verirrung
Die Zeit drängt. Die EU stiftete jedoch mit ihrem Zahlenkuddelmuddel Verwirrung, so das „Handelsblatt“. Das verstärke den Eindruck, dass die Zahlenbasis für die Berechnungen der Zusatzzölle nicht sehr solide sei. Es war das dritte Mal binnen zwei Monaten, dass die Brüsseler Beamten im August wieder neue Zahlen präsentierten. Auch die angedrohte rückwirkende Verhängung dieser Zusatzzölle ist nach EU-Recht nicht zulässig.
Mit viel Aufwand und wenig Sachkompetenz scheint die EU von ihrem Versagen beim Umbau der eigenen Autobranche in Richtung emissionsfreie Antriebe ablenken zu wollen. Besser wäre es, von den Technologieführer aus China zu lernen. Das hatte die europäische Autobranche auch schon zuvor, als japanische Autokonzerne durch effektivere Produktionsmethoden den Weltmarkt eroberten. In den 1980er-Jahren drohte die japanische Automobilindustrie bereits mit ihrer überlegenen Produktion und höheren Qualität die bis dahin dominanten westlichen Automobilfirmen ins Wanken zu bringen. Japanische Produktionsmethoden, wie „schlanke Produktion“ flossen jedoch schnell in ihre eigene Produktion ein und machten sie stärker.
Die Abschottung gegenüber China könnte die europäische Autobranche technologisch international abhängen. Die EU-Handelsbarrieren erinnern etwas an die den "Merchandise Marks Act“ der britischen Regierung von 1887, mit der die britische Regierung seine Wirtschaft und auf Dampfmaschinen basierende Industrie durch das Label „Made in Germany“ vor Billigangeboten der deutschen Industrie schützen wollte. Sie legte jedoch dadurch die Grundlage dafür, dass Deutschland mit Elektrotechnik und Motoren die britische Industrie technologisch überholte.
Verzweiflungszölle der EU sollen Technologierückstand verschleiern
„Handelspolitik unter China-Schock“, so ein Kommentar der „FAZ“. Das aggressive Vorgehen der Europäischen Union gegen China in der Handelspolitik habe etwas Verzweifeltes. Es sei ein Symbol des Scheiterns. Die EU würde ihr zur Verfügung stehenden Instrumente nutze, um China auszubremsen. Von der Leyen müsse sich fragen lassen, inwieweit sie ihre Handelspolitik am Vorbild der USA orientieren wolle. Denn das tue sie mit dem aggressiven Vorgehen gegen China, das einer Abschottung gleichkomme. Sie verschleiere das nur, indem sie auf Basis von scheinbar objektiven Fakten einen Schaden kalkuliere, der ausgeglichen werden müsse. Damit handele Brüssel so politisch wie Washington. „Das hat etwas Verzweifeltes. Die Kommission wirke getrieben von der Angst, dass die EU mit China nicht mehr mithalten kann. So könne die EU keine Vorreiterrolle mehr im Wettbewerb um grüne Technologie erreichen. „Es ist ein Symbol des Scheiterns.“ Die EU habe die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsförderung zu lange vernachlässigt. Der Kommentar schlussfolgert: „Es ist das Eingeständnis, dass die EU keine Antwort auf den Erfolg Chinas hat. China ist innovativ, wie etwa die Patentanmeldungen in der künstlichen Intelligenz zeigen. China baut nicht nur billige, sondern gute E-Autos.“ Das einzugestehen sei schwer. Viel leichter sei es, die Schuld für das eigene Versagen bei anderen zu suchen. Zur Not rede man sich ein, dass es um die „nationale Sicherheit“ gehe.
Die EU verkündet, das sie weiter mit China verhandele. Doch das Auftreten wird vor Ort eher neoimperial empfunden, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck nach seiner Chinareise. China dagegen versucht, gemeinsame Problemlösungen zu finden. Doch ein richtiger Dialog auf Augenhöhe verweigerte die EU.
Decoupling führt zur Abkoppelung vom Weltmarkt
Bezeichnend ist, dass durch die angedrohten Zusatzzölle in erster Linie der amerikanische Tesla-Konzern bevorzugt wird. Tesla würde nur mit neun Prozent belastet, VW mit 19,3. Das zeigt, dass die EU die Struktur der chinesischen Automobilbranche nicht kennt. Der vormalige weltweite Technologieführer Tesla wurde von China mit vielen Vergünstigungen nach China gelockt, damit die etablierten Autokonzerne Chinas durch diese Konkurrenz zu schnellen Innovationen gezwungen waren.
Tesla fertigt lediglich zwei Modelle in China; Volkswagen und seine Partner jedoch Dutzende Modelle und bringt laufend neue Modelle auf den chinesischen Markt. Und in dieser schnellen Modelloffensive liegt eine der Grundlagen für die technologische und preisliche Überlegenheit der in China entwickelten Autos. Laut der Unternehmensberatung McKinsey dauert die Entwicklung eines Autos in China nur halb so lang wie in Europa. Die chinesischen Hersteller schafften dies in zwei statt in vier Jahren. Damit beginnen die enormen Kosteneinsparungen.
Zu schaffen machen der EU die Kapitalverflechtungen von VW, BMW und Daimler-Benz mit chinesischen Konzernen. Doch in der modernen Weltwirtschaft sind Großkonzerne auch zumeist internationale Konzerne. Die deutschen Autokonzerne arbeiten in China nicht nur mit chinesischen Konzernen in Joint Ventures. Sie haben auch an chinesischen Autokonzernen Anteile, diese teilweise vollständig übernommen. An Daimler-Benz haben chinesische Konzerne hohe Anteile, aber auch Kuweit hält einen hohen Anteil.
Die Politik der USA und der EU zum Decoupling von China führt eher zu einer noch intensiveren Aktivität von deutschen Unternehmen in der Volksrepublik. Die EU beachtet bei ihrer Abschottungspolitik offensichtlich nicht die einfachsten wirtschaftspolitischen Voraussetzungen. Unternehmen müssen in erster Linie Gewinn machen und ihre langfristige Leistungsfähigkeit ausbauen. Autokonzerne können dies am besten auf dem weltgrößten Automarkt, in China. Die Gewinne waren dabei über Jahre mit die höchsten weltweit, und damit wurden auch weniger rentable Werke in Europa subventioniert.
Die deutsche Autoindustrie profitierte auch durch Zulieferungen, welche jetzt durch die EU-Politik behindert werden. Die deutsche Zulieferindustrie kann dadurch weniger exportieren, ist gezwungen in China zu investieren. Die chinesische Wirtschaft hat im ersten Halbjahr von deutschen Direktinvestitionen in Höhe von 7,28 Milliarden Euro profitiert, was nach Angaben der Bundesbank fast 13 Prozent über dem Gesamtwert für 2023 liegt. Noch dramatischer könnte sich auswirken, dass durch die dirigistische EU-Politik die deutschen Autokonzerne immer weniger in Europa entwickeln, sondern dort ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufbauen, wo die Zukunftstechnik zu finden ist: in China.
Chinesische Marktwirtschaft versus europäische Planwirtschaft
Die EU dürfte also mit ihrer Politik die Abwanderung ihrer eigenen Industrie zu beschleunigen. Hinzu kommt, dass in China günstigere Produktionsbedingungen herrschen und auch andere Zukunftsbranchen technologisch weiter sind. Denn Elektromobilität braucht günstigen grünen Strom.
Professor Dr. Florian Becker berichtet von seinem Chinabesuch. „Ich fahre 400 Kilometer für etwa 20 Yuan Stromkosten“ berichtete mir mein chinesischer Fahrer. Das sind umgerechnet unter 3 Euro. „Ich lade nachts, da ist es billiger. Eine Kilowattstunde kostet mich dann etwa 0,4 Yuan“, schildert er mir weiter. Das sind weniger als 5 Cent. Mein Wagen kostet nur etwa 130.000 Yuan. Das sind unter 17.000 Euro. Wir normalen Menschen kaufen jetzt alle Elektroautos. Verbrenner sind etwas für Reiche!“, erklärt der Fahrer.
China wird oft als autoritärer Staat bezeichnet. Bei der Elektromobilität allerdings geht man dort den „weichen“ Weg der Motivation, macht Elektroautos und Strom also attraktiv und wettbewerbsfähig. Letztlich ein marktwirtschaftlicher Ansatz des besseren Angebotes. Die Menschen kaufen jetzt gern Elektroautos oder zumindest teilelektrische Fahrzeuge. Rund 50 Prozent der Neuwagen sind bereits elektrifiziert - etwas über die Hälfte davon vollelektrisch, der Rest Plug-In-Hybride mit einer Kombination aus Elektro- und Benzinmotor, berichtet Becker.
Motivation, Kostenvorteile und Markt statt planwirtschaftlicher Verbote
Bei uns arbeitet man bei der „Energiewende“ hingegen mit Steuern, CO2-Abgaben und Verboten. Der „dunkle“ Weg der Motivation mit Druck, Verboten, Strafen und Zwang. Letztlich düstere planwirtschaftliche Instrumente. Passt das zusammen mit unserem Selbstverständnis als Land? fragt Becker.
Dass die Industriepolitik in China auf nur auf umweltschädlicher Energie beruht, stimmt so nicht. Elektromobilität ist Teil eines Plans, um die Wirtschaft und Gesellschaft zu einer emissionsfreien Gesellschaft umzubauen. Laut einer aktuellen Studie des Global Energy Monitor (GEM), einer in San Francisco ansässigen Nichtregierungsorganisation, bleibt China weltweit führend beim Ausbau erneuerbarer Energien. Demnach sind in China derzeit 180 GW Solar- und 159 GW Windenergie im Bau. Das ergibt eine kombinierte Leistung von 339 GW, was fast doppelt so viel ist wie der Rest der Welt zusammen. Die auf dem zweiten Platz liegenden USA kommen lediglich auf 40 GW. Deutschland ist in den Top-10 laut der Studie erst gar nicht vertreten. China hat einen funktionierenden Plan, die EU jedoch nicht. Und dieser Plan ist sektorübergreifend.
Deutschland dagegen scheint den ökologischen Rückwärtsgang eingelegt zu haben. 35,8 Milliarden Euro an Subventionen und weitere staatliche Begünstigungen führen bis 2030 in den Sektoren Energie, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zu klimaschädlichen Emissionen in Höhe von 156 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Der größte Anteil der staatlichen Begünstigungen mit klimaschädlicher Wirkung entstand 2020 mit 24,8 Milliarden Euro im Verkehrssektor.
Absatz von Autos mit Verbrennern bricht in China ein
In China bricht der Absatz von Verbrennern dramatisch ein, und Fahrzeuge mit alternativen Antrieben machen bereits über 50 Prozent des Absatzes aus. 2020 wurden dort 94 Prozent aller Neuwagen mit konventionellen Kraftstoffen wie Benzin oder Diesel angetrieben. Im ersten Halbjahr 2024 waren es nur noch 59 Prozent. Das belegen Zulassungszahlen des Automotive-Datenspezialisten Marklines.
In den ersten sechs Monaten dieses Jahres brach der Absatz von Verbrennern um 12 Prozent oder 775.000 Stück ein. Die Verkäufe von elektrischen und teilelektrischen Fabrikaten legten dagegen um 38 Prozent oder 1,1 Millionen Einheiten zu. Im Juli wurden laut dem chinesischen Autoverband CPCA sogar erstmals mehr E-Autos und Plug-in-Hybride ausgeliefert als reine Diesel und Benziner.
Europas Markt für Elektroautos schwächelt
Zunächst eine gute Nachricht aus der deutschen Autobranche. Am 22. August veröffentlichte das Marktforschungsunternehmen JATO Dynamics einen Bericht, nachdem BMW den bisherigen Marktführer Tesla zum ersten Mal auf dem europäischen Markt für Elektrofahrzeuge überholtet und die Verkaufsspitze übernommen habe. Die Elektrofahrzeugverkäufe von BMW stiegen im Juli dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35 Prozent, während die Zulassungen von Tesla um 16 Prozent zurückgingen. Dies sei jedoch auf Markteingriffe der EU und eine kontraproduktive Förderpolitik zurückzuführen.
Die schlechte Nachricht: Der Bericht zeigt, dass im vergangenen Monat in Europa rund 139.000 neue Elektrofahrzeuge zugelassen wurden, was einem Rückgang von etwa 6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht, und dass die Verkaufsrate von Elektrofahrzeugen von 14,6 Prozent im Vorjahr auf 13,5 Prozent gesunken ist. Felipe Munoz, globaler Senior-Analyst von JATO, erklärte: „Europas schwankende Anreize für Elektrofahrzeuge und unklare Zukunftsaussichten halten Verbraucher weiterhin davon ab, den Kauf von Elektrofahrzeugen in Betracht zu ziehen“. Diese Faktoren werden zusammen mit geringen Restwerten von Elektrofahrzeugen trugen zum Rückgang der Elektrofahrzeugverkäufe im Juli bei. Die angedrohten Zölle und weitere EU-Pläne könnten zudem die deutschen E-Automarken bald ausbremsen.
Deutscher Außenhandels-Überschuss steigt
Die EU-Vorstöße könnten sich daher noch mehr gegen Deutschland richten als gegen China. Die EU und die USA möchten die zunehmende unausgewogene Handelsbilanz ins Lot bekommen. Der deutsche Außenhandelsüberschuss im ersten Halbjahr 2023 betrug 138,8 Milliarden Euro, das waren fast 29 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2023. Deutschlands Exportwert umfasste in den ersten sechs Monaten des Jahres bei 801,7 Milliarden Euro. Die Automobilbranche führt weiterhin die Exportliste an, mit einem Wert von 135,3 Milliarden Euro für Kraftfahrzeuge und dazugehörige Komponenten. Allerdings gab es einen Rückgang von 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Die höchsten Exportüberschüsse wies Deutschland zur Jahresmitte im Handel mit den Vereinigten Staaten (34,7 Milliarden Euro), Frankreich (27,5 Milliarden Euro) und dem Vereinigten Königreich (23,0 Milliarden Euro) auf. "Aus China wurden dagegen mehr Waren importiert als dorthin exportiert", so die Statistiker. Hier summierte sich der Importüberschuss auf 25,3 Milliarden Euro. Das zeigt, das Deutschland die USA, aber auch Frankreich noch mehr mit seiner Überproduktion überschwemmt, als China mir seinen Importen Deutschland. Dabei hat China fast 17-mal so viele Einwohner.
Decoupling funktioniert mit alter Technologie nicht
Die Zukunft der Welt entscheidet sich nicht in der EU oder den USA. Chinas Aufstieg dürfte erst das Vorspiel einer neuen Welt-Wirtschaftsordnung sein, in der die traditionellen Industriestaaten nicht mehr den Ton angeben. Die europäische Industrie könnte jedoch von dem wirtschaftlichen Aufstieg der Schwellen- und Entwicklungsländer profitieren, wenn sie passende Technologien und Konzepte hätte. Die scheinen jedoch zu fehlen.
Den Wettlauf der Weltautobranche bestimmen keinesfalls westliche Konzerne. Japan war lange Jahre der erfolgreichste Autoexporteur, wurde jedoch vergangenes Jahr von China überholt. Die japanischen Ausfuhren beliefen sich auf 4,42 Millionen Fahrzeuge. Die chinesischen Hersteller hatten 4,91 Millionen exportierte Autos gemeldet, der chinesische Zoll nannte sogar die Zahl von 5,22 Millionen – ein massiver Anstieg um 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch chinesische Exporte werden bereits durch Produktionswerke im Ausland ergänzt.
Indien – unerfüllte Träume
Nun rät die EU, in andere Zukunftsmärkte zu investieren. Indien, das jetzt bevölkerungsreichste Land der Welt, galt für Verbandsvertreter der deutschen Autobranche bereits vor Jahrzehnten als zukünftiges Eldorado für ihre Geschäfte. Viel herausgekommen ist dabei nicht. Das Land wird zwar immer noch gern als das beste Alternative zu China genannt. Doch die Geschäfte sind immer noch sehr schwierig.
Zudem fehlt es in Indien an Einkommen. Dem Armutsbericht des UNDP von 2022 zufolge sind in Indien 230 Millionen Menschen arm. Auch der Welthungerindex von 2023 erklärt die Lage in Indien mit einem Anteil von 16,6 Prozent unterernährten Menschen für ernst. Dies ist sicherlich in erster Linie eine menschliche Katastrophe. Doch erschwert dies auch den Aufbau einer leistungsfähigen Autobranche, der einen großen Inlandsmarkt bräuchte.
Indien führt zaghafte Reformen durch, um seine wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen. In diesem Prozess könnten trotz aller Probleme deutsche Konzerne gute Chancen haben, da Technologieführer aus China in Indien wegen der gegenseitigen politischen Spannungen Probleme beim Marktzugang haben. Doch Indien möchte für seine Automobilbranche Zukunftstechnik.
Auch in anderen Schwellenländern, in denen hohe Wachstumsraten zu erwarten sind, fällt die deutsche Autobranche zurück, und China ist besonders mit Elektroautos oft Marktführer. Die technikaffine Bevölkerung verlangt nicht nur smarte Autos, sondern besonders auch in den Metropolen neue Mobilitätslösungen, bei denen der Nutzen und nicht der Besitz eines Autos im Vordergrund steht.
ASEAN – China wird immer beliebter
Das dynamische Wachstum der ASEAN (Indonesien, Malaysia, Thailand, Philippinen und Vietnam) bietet eine scheinbar vielversprechende Alternative zum großen Nachbarn China, verkünden die Befürworter eines Decoupling von China. Das Bruttosozialprodukt (BSP) für die gesamte Region lag 2022 bei 3.670 Milliarden US-Dollar und damit etwas höher als das BSP Frankreichs. Für die langfristige Zukunft wird dem Block jedoch ein starkes Wachstumspotenzial bescheinigt. Einschätzungen der Boston Consulting Group zufolge können die Asean-Staaten bis Mitte des Jahrhunderts mit einem BSP von über 20.000 Milliarden US-Dollar rechnen. Ein Blick auf die Wirtschaftsdaten zeigt jedoch, dass das Diversifizierungspotenzial hinsichtlich der Schwellenmärkte Südostasiens für europäische Unternehmen begrenzt ist, so eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Trotz Grenzstreitigkeiten mit China steigt das Ansehen der Volksrepublik in den ASEAN-Staaten stetig, und China ist dort nach Umfragen jetzt beliebter als die EU und die USA. Chinesische Autos sind dort oft Marktführer, und chinesische Konzerne und Zulieferer bauen in den ASEAN-Ländern eigenständige Produktionskomplexe auf. Sie verdrängen dabei japanische Produzenten, welche die ASEAN lange Jahre hauptsächlich als billige verlängerte Werkbank nutzten. Durch die zu erwartete hohe Einkommenssteigerung entwickelt sich dort ein Massenmarkt – angeführt mit chinesischen Marken, jedoch zunehmend mit „Made in Asean“. Hinzu kommen eigene Marken wie der vietnamesische Elektroautohersteller VinFast. Am 1983 gegründeten malaiischen Autokonzern Proton erwarb Geely 2017 eine Beteiligung von 49,9 Prozent. Im April 2024 gab Proton die Eröffnung eines Forschungs- und Entwicklungszentrums am Geely Automobile Research Institute in Hangzhou Bay in Zusammenarbeit mit Geely bekannt.
Thailand ist der größte Automarkt Südostasiens. Das Land wurde lange Jahre als billige Werkbank japanischer Konzerne genutzt. Japanische Automarken machen noch im Jahr 2022 86 Prozent der Neuwagenverkäufe in Thailand aus. Letztes Jahr sank diese Zahl auf 75 Prozent, da die chinesischen Unternehmen BYD, Great Wall Motors und SAIC-Motor ihren Marktanteil in Thailand ausbauten. Sechs chinesische Elektrofahrzeughersteller verkaufen bereits Autos in Thailand, und drei weitere werden in diesem Jahr in den thailändischen Markt eintreten. Unternehmen wie BYD, GAC Ayan, Great Wall Motors, Hezhongs Nezha Automobile und Chery haben Fabriken in Thailand gegründet oder bauen gerade Fabriken. Und aus Thailand könnten chinesische Marken leichter in westliche Märkte exportieren.
Nach Angaben des Branchenverbandes Gaikindo wurden in Indonesien, mit 277 Millionen Einwohnern viert-bevölkerungsreichstes Land der Welt, im Jahr 2023 etwa 1,4 Millionen Kfz produziert. Auf japanische Hersteller und ihre indonesischen Partnerunternehmen entfallen noch mehr als 90 Prozent der Produktion. Etwa 85 Prozent des Outputs entfielen auf Pkw. Die Kfz-Verkäufe in Indonesien blieben 2023 mit knapp 1 Million Einheiten weitgehend stabil. Für 2024 erwartet Gaikindo in einer groben Prognose 1,1 Millionen Kfz-Verkäufe. Grund für die Steigerung sei der Markteinstieg zahlreicher neuer E-Modelle aus China, die auch durch Investitionsanreize mit Produktionswerken ins Land gelockt werden. Im Jahr 2023 führte Indonesien erstmals mehr als eine halbe Million Pkw aus. Damit gingen 43 Prozent der indonesischen Pkw-Produktion in den Export.
Zum Vergleich: BMW setzte nach Angaben von Gaikindo im Jahr 2023 knapp 4.200 Pkw ab. Mercedes kam auf 3.400 Pkw und verkaufte darüber hinaus noch 2.100 Nutzfahrzeuge. Volkswagen kam 2023 auf etwa 250 Pkw-Verkäufe.
China ist ausländischer Marktführer in Lateinamerika
Statistiken des Internationalen Handelszentrums der Vereinten Nationen (ITC) zeigen, dass China im Jahr 2019 in Lateinamerika Autos im Wert von 2,2 Milliarden US-Dollar verkaufte. Diese Zahl ist bis 2023 auf 8,5 Milliarden US-Dollar gestiegen. Wertmäßig entfallen auf China 20 Prozent der gesamten Autoverkäufe in Lateinamerika, gefolgt vom vormaligen langjährigen Importführer USA mit 17 Prozent. Auf dem sich entwickelnden Markt für Elektrofahrzeuge beträgt Chinas Marktanteil für Elektrofahrzeuge in Lateinamerika sogar 51 Prozent. Fast alle Elektrobusse in der Region sind chinesische Marken.
Um in den lateinamerikanischen Ländern bessere Geschäftsbedingungen zu haben, wäre auch ein Freihandelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten erforderlich. Seit über 20 Jahren verhandelt die EU darüber, und seit Jahren wird berichtet, dass das eine Einigung kurz bevorstehe. In dieser Zeit schloss China dort mehrere Handelsabkommen ab, die bereits in Kraft traten.
In Brasilien, mit 215 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas, überholte China Deutschland bei den Autoimporten. Zukünftig produzieren chinesische Konzerne verstärkt im Land. BYD übernimmt das ehemalige Ford-Werk in Bahia, Great Wall Motors das ehemalige Mercedes-Benz Werk in Sao-Paulo.
Auch in Mexiko, nach Brasilien zeitgrößter lateinamerikanischer Automarkt, gewinnt China Marktanteile. Insbesondere Chery (+343,9 Prozent) und Motornation (umfasst BAIC, JMC und Changan; +52,8 Prozent) legten 2023 zu. Die höchsten absoluten Verkaufszahlen verbuchte jedoch MG Motor des chinesischen Staatskonzerns SAIC Motor (60.128 Fahrzeuge, +25 Prozent). MG Motor lag damit vor renommierten Herstellern wie Ford, Hyundai oder Renault. Insgesamt erreichten chinesische Hersteller einen Marktanteil von rund 10 Prozent. Chinesische Konzerne planen auch bereits Produktionswerke in Mexiko. Nach Unternehmensangaben sind diese nicht auf Exporte in die USA ausgerichtet. Produziert soll dort in erster Linie für die Wachstumsmärkte Lateinamerikas und der Karibik.
China motorisiert Afrika
Während heute 1,4 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent leben, dürften es 2050 mit 2,5 Milliarden fasst doppelt so viele sei. Zum Großteil ist der Kontinent wirtschaftlich unterentwickelt und leidet an bitterer Armut. Eine Kehrtwende ist nur durch umweltfreundliche Zukunftstechnik zu erreichen. Diese ist auch notwendig, um die Umweltprobleme und die Folgen des Klimawandels in den Griff zu bekommen. Auch in Afrika ist China beliebter als Europa und hat nach Meinung der Entscheidungsträger und Bevölkerung die besseren Konzepte.
Beispiel Äthiopien, eines der ärmsten Länder der Welt. Dort gilt seit einigen Monaten ein Importverbot für Verbrennerautos. Nur noch Elektrofahrzeuge dürfen eingeführt werden. Weil Äthiopien selbst keine Autoindustrie hat, bedeutet das ein Aus für neue Verbrenner. Die meisten Elektroautos, die eingeführt werden, kommen aus China.
In den 54 Ländern Afrikas ist die Automobilindustrie ganz unterschiedlich entwickelt: Während in Äthiopien nicht einmal ein Pkw auf 1.000 Einwohner kommt, sind es in Südafrika aktuell knapp 122 Pkw pro 1.000 Einwohner. Noch immer werden vor allem gebrauchte Fahrzeuge in Afrika verkauft. Doch Absatz und Produktion von Neuwagen wächst. 95 Prozent der in Afrika produzierten Autos kommen aus Südafrika und Marokko, das bereits mehr Autos in die EU exportiert als China.
Marokkos Wüstengebiete bieten günstigen Solarstrom, und das Land hat ein Freihandelsabkommen mit der EU und den USA. Der chinesische Hersteller von Batteriematerialien CNGR, einer der größten der Welt, baut eine Fabrik in der Nähe von Casablanca, die alle wichtigen Batterieproduzenten beliefern soll. Der chinesische Batteriezellen-Hersteller und Volkswagen-Partner Gotion High-Tech hat im Juni mit der Regierung Marokkos einen Investitionsvertrag für eine Batteriezellenfabrik im Land unterzeichnet. Anfangs sind 20 GWh Produktionskapazität geplant, später könnte sich dieser Wert deutlich erhöhen.
Ganzheitliches Entwicklungskonzept gefragt
Ökologische Kriterien und Überlegungen zu vernetzten Verkehrssystemen flossen bereits in die Strategin der Automobilfirmen ein. Doch sind die Konzerne nicht für die Weltpolitik zuständig. Als Kapitalgesellschaften sind sie in erster Linie verpflichtet Gewinn zu machen. Diese Gewinne lassen sich jedoch zukünftig überwiegend in den bisherigen Schwellen- und Entwicklungsländern machen.
Die politischen Rahmenbedingungen für die Internationalisierung setzt für uns die EU. Dabei geht es nicht nur um die Wirtschaft. Weltweite Armutsbekämpfung wäre nicht nur eine Grundlage um die zunehmenden Migrationsströme in den Griff zu bekommen. Weltweite Armutsbekämpfung und neue Technologien sind wie gesagt auch Voraussetzung, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen.
Es ist also ein ganzheitliches Konzept notwendig. Eine stärkere Integration der industriellen Entwicklung in Richtung einer emotionsfreien Welt mit umweltfreundlicher Energie ist ein Ausgangspunkt dafür. Basis der Entwicklungskonzepts Chinas ist nicht, die Welt zu dominieren, sie mit billigen Waren zu überschwemmen. Ausgangspunkt ist das materielle Wohl der eigenen Bevölkerung. Nach der nationalen Definition lebten 1990 noch mehr als 770 Millionen Chinesen unterhalb der Armutsgrenze – etwa zwei Drittel aller Einwohner. Bis 2012 war diese Zahl schon auf rund 100 Millionen gesunken, und bis 2019 fiel sie auf 5,5 Millionen. Jetzt hat China die Armut abgeschafft. Auch die Weltbank stellt anerkennend fest, dass in China seit den Wirtschaftsreformen 1978 „mehr als 850 Millionen Menschen der Armut entkommen sind“.
Zu Beginn des VW-Engagements in China lag das Einkommen eines Arbeiters monatlich bei umgerechnet etwa fünf Euro. Das sich jemals ein VW-Arbeiter ein Auto leisten könne, war undenkbar. Hunderte Millionen Chinesen, auch die Facharbeiter der Automobilwerke, gehören jetzt zur Mittelschicht und können sich ein Auto leisten. Durch die hohen Einkommenssteigerungen entwickelte sich China in wenigen Jahren zum weltgrößten Automarkt.
Dieser Weg aus der Armut ist auch für die Schwellen- und Entwicklungsländer ein Grund auf China zu setzen. Die Armut kann weniger durch karikative Hilfe überwunden werden. Notwendig ist der Aufbau einer leistungsstarken inländischen Wirtschaft und Industrie. Die Abschottungstendenzen der EU und der USA verhindern dies jedoch, bringen die weltwirtschaftliche Arbeitsteilung durcheinander. Dies ist das eigentliche Drama der neokolonialen EU-Politik.
Asia Media Service, Dr. Thomas Kiefer
Links
Table Briefing. Auto-Manager Daniel Kirchert warnt EU vor hohen Strafzöllen auf chinesische E-Autos
Handelsblatt. Die EU stiftet Verwirrung mit ihren E-Auto-Zöllen
Wikipedia. Merchandise Marks Act 1887
FAZ. ZÖLLE AUF E-AUTOS: Handelspolitik unter China-Schock
FAZ. Brüssel passt Zölle auf chinesische E-Autos an
Tagesschau. Trotz Warnungen aus Berlin - Deutsche Wirtschaft investiert stärker in China
Focus. Gastkommentar - Chinas E-Auto-Erfolg wirft unangenehme Fragen für Deutschland auf
Tagesspiegel. 339 Gigawatt an Erneuerbaren im Bau: China baut mehr Anlagen für Wind- und Solarenergie als der Rest der Welt zusammen
TAZ. Klimaschädliche Subventionen: Wie der Staat die Klimakrise bezahlt
NTV. Verbrenner-Absatz bricht ein - E-Auto-Boom in China bringt deutsche Hersteller ins Schwitzen
electrive.net. BMW stößt Tesla bei Elektroauto-Zulassungen in Europa vom Thron
Tagesspiegel. 4,91 Millionen Fahrzeuge: China überholt Japan als größter Autoexporteur
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Indien - Extremer Reichtum, extreme Armut
AsiaFundManagers. ASEAN: sich mit China oder den USA verbünden?
GTAI. Chinas wachsender Fußabdruck in Lateinamerika
Friedrich Naumann Stiftung. Kampf der Systeme: Warum ist China in Afrika so erfolgreich? Studie liefert Erkenntnisse aus der afrikanischen Perspektive
Tagesspiegel. BATTERIEPRODUKTION - China zieht Großfabrik in Marokko hoch
Tagesschau. Importstopp für Verbrenner - Äthiopiens rasante Verkehrswende
NTV. Marokko exportiert mehr Autos nach Europa als China
NZZ. Wie hat China 800 Millionen Menschen aus der extremen Armut befreit? «Die Zentralregierung wurde vom Diktator zum Dirigenten»
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