1. Juli 2024
Wie sollen globale Standards für neue Technologien gesetzt werden? / Neue Verkehrssysteme als Rückgrat der Infrastruktur
Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing reiste, nur kurz nach seinem Chinabesuch mit Bundeskanzler Olaf Scholz im April, vom 24. bis 27. Juni nach China. Die Zeit drängt, um mit den Herausforderungen der technologischen Entwicklung Chinas Schritt zu halten und möglichst davon zu profitieren. Politiker der Ampel-Koalition und viele Medien zeigten sich jedoch überrascht von der Absichtserklärung des Bundesverkehrsministers zum Datenaustausch mit China. Doch sie kam keinesfalls aus dem Nichts und ohne Vorlauf, sondern sollte eine grundlegende Absichtserklärung, die während des Kanzlerbesuchs abgeschlossen wurde, an dem auch Wissing teilnahm, mit Inhalten füllen.
Grundvereinbarung bereits während Chinabesuch des Bundeskanzlers geschlossen
„Der Bundesminister für Digitales und Verkehr, Dr. Volker Wissing, die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Franziska Brantner, und der chinesische Minister für Industrie und Informationstechnologie, Jin Zhuanglong, haben heute (17. April 2024) eine gemeinsame Absichtserklärung über den Dialog und die Zusammenarbeit im Bereich automatisiertes und vernetztes Fahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China unterzeichnet. Das automatisierte und vernetzte Fahren hat das Potenzial, die Zukunft der Mobilität tiefgreifend zu verändern. Deutschland und China möchten das Thema durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen zügig vorantreiben. Die Erklärung setzt einen Dialog fort, den Deutschland und China bereits im Jahr 2018 begonnen hatten,“ so die Verlautbarung während des Kanzlerbesuchs.
Die Mitunterzeichnende Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Franziska Brantner kommentierte damals die Absichtserklärung: „Automatisiertes und vernetztes Fahren wird für die künftige Mobilität eine zentrale Rolle spielen und der Automobilindustrie neue Geschäftsmodelle eröffnen. Gleichzeitig sind wir uns des herausfordernden Geschäftsumfelds in China bewusst, gerade auch der zunehmend restriktiven Datengesetzgebung, die insbesondere dem grenzüberschreitenden Datentransfer zum Teil enge Grenzen setzt. Hier soll die gemeinsame Absichtserklärung ansetzen und nicht nur dazu beitragen, die internationale Standardisierung und den fairen Wettbewerb in diesem Bereich voranzubringen, sondern auch konkrete Fortschritte beim Thema des Reziproken Datentransfers zu ermöglichen – und dies in Respekt nationalen und EU-Datenrechts. Hierzu werden wir uns für greifbare Ergebnisse einsetzen.“
Die Absichtserklärung steht seitdem für jeden zugänglich im Internet.
Wissing wehrt sich gegen Kritik
Wissing wehrt sich daher gegen Kritik an seiner Folgevereinbarung mit China zum Daten-Transfer. Eine konkrete Übereinkunft, wie der Datentransfer organisiert werde, sei mit der Absichtserklärung nicht verbunden, so ein Sprecher Wissings. Es gehe darum, in einen Dialog mit China zu rechtlichen Fragen des Daten-Austausches zu treten. „Die Etablierung von fachlichen Dialogen steht im Einklang mit der China-Strategie der Bundesregierung und wird von den Fachressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeit verfolgt.“
Die Absichtserklärung sei die Folge des Kooperationsabkommens mit China zum autonomen Fahren, das in Anwesenheit des Kanzlers im April unterzeichnet worden sei. Der Entwurf sei anderen Ressorts frühzeitig zugegangen, er habe seit Mai zur Verfügung gestanden. Was darin stehe, sei eine Umsetzung im Rahmen der beschlossenen Chinastrategie, wie sie von den Fachressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeit verfolgt werde, teilte das BMDV mit.
Probleme müssen im Dialog gelöst werden
Beim grenzüberschreitenden Datentransfer gibt es viele Probleme, die gelöst werden müssen. Zum einen geht es darum, dass keine Daten von Bürgern der EU und kritische Infrastukturdaten ungewollt nach China wandern. Wichtiger für die deutsche Industrie ist jedoch, dass sie in Deutschland auf den gewaltigen Schatz von Daten aus China, beispielsweise aus selbstfahrenden Autos, für ihre internationalen Geschäfte zurückgreifen kann. China hat zwar ein relativ neues Datenschutzrecht, das in Teilen sogar fast Wortgleich an die europäische Datenschutzgrundverordnung angelehnt ist. Aber beispielsweise bei der Frage, auf welche Daten staatliche Stellen zugreifen können, gibt es Gesprächsbedarf. Dies ist jedoch kein China-Problem, sondern auch beispielsweise beim Datenaustausch mit den USA eine schwierige Frage.
German-Slow: Vereinbarungen aber keine konkreten Inhalte und Ergebnisse
Wie soll die während der Chinareise von Kanzler Scholz geschlossene Vereinbarung umgesetzt werden? Anscheinend wird diese eher in anderen Ministerien durch Nichtstun blockiert. Die drei Parteien der Ampel-Koalition scheinen dabei zerstritten. Und nicht nur das. Wissings FDP-Partei-Genossin Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger stelle den Wissenschaftsaustausch mit China in Frage und warnt vor Spionage aus China. Wissenschaftler und Studenten aus China sehen sich unter Generalverdacht und kehren in Scharen nach China zurück. Der Wissenschaftsstandort verliert dadurch doppelt: an Kooperationen und an Studenten sowie Wissenschaftlern aus China.
Chinesische Wissenschaftler an deutschen Hochschulen einer Unwillkommens-Kultur auszusetzen und die Forschungskooperation einzuschränken, behindert auch die Lösung der zentralen Zukunftsfrage: was kann Wissenschaft und Forschung dazu beitragen, die Probleme des Klimawandels in den Griff zu bekommen und gleichzeitig unseren Wohlstand nachhaltig zu sichern? Dies ist nur in internationalen Kooperationen und einer praktischen Zusammenarbeit wie im Bereich Elektromobilität oder KI-gesteuerte internationale Logistik möglich. Ohne Wissenschaftskooperation nutzt der reine Datenaustausch wenig.
Konkrete internationale Standards dringend notwendig
Die deutsche Automobilindustrie begrüßt den Vorstoß des Verkehrsministers und fordert zur Umsetzung der Absichtserklärung konkrete Vereinbarungen. Die weitere Absichtserklärung vom Juni zur Übermittlung von Daten ist dazu lediglich ein erster Schritt. Konkrete und verbindliche Vereinbarungen sind darin noch nicht enthalten.
Die technologischen Standards der Zukunft kann der Westen nicht mehr alleine setzen. Diese müssen in internationalen Kooperationen entwickelt werden. 2023 wurden in Deutschland 523.000 Elektrofahrzeuge neu zugelassen, in China 6,3 Millionen. Im Mai gingen die Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen in Deutschland um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. In China stieg er dagegen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weiter um fast 33 Prozent, der Marktanteil an allen verkauften Autos stieg auf 40 Prozent.
Es genügt nicht, in den Jahre zurückliegenden Koalitionsvereinbarung der Regierungsparteien Deutschland zum Leitmarkt für Elektrofahrzeuge zu erklären. Bei smarten Elektrofahrzeugen ist China Deutschland und der Welt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ weit voraus. Nicht Ankündigungen, sondern Ergebnisse zählen. Dafür ist eine auf Zukunftstechnologien ausgerichtete langfristige Industriepolitik erforderlich.
Besichtigung der Xiaomi-Autoproduktion
Wie Industriepolitik in der Praxis funktioniert ist am besten vor Ort in den Fabriken und Hightech-Parks zu sehen. Wissing besichtigte mit seiner Delegation die Produktion des Sportwagens SU-7 des Elektronikkonzern Xiaomi. Ein smartes Erfolgsmodell. Nach dem Beginn der Vorbestellungen im April sind in den ersten 27 Minuten laut Firmenchef Lei Jun über 50.000 fixe Aufträge SU-7 eingegangen. Das Projekt zeigt auch die Kooperation eines privaten Elektronikriesen mit einem etablierten Autokonzern. Der Wagen fertigt der Pekinger Autokonzern BAIC, mit dem auch Mercedes und andere internationale Autokonzerne produzieren.
Von SAP zum Bosch-Entwicklungszentrum mit selbstfahrendem Auto
Wie nutzen deutsche Unternehmen die Technologien und Daten in China für ihre internationalen Geschäfte? Wie verdienen sie Geld mit ihrem Chinageschäft? Welche Probleme haben sie vor Ort? Wissing sah sich dies zunächst im SAP Lab China Innovation Center Shanghai an. Mit einem selbstfahrenden Auto ging es von dort zum Forschungs- und Entwicklungszentrum von Bosch. Der große chinesische Markt ist unverzichtbar für diese Unternehmen. Viele Zukunftstechnologien können am besten in China weiterentwickelt werden, da sie dort bereits breit im praktischen Einsatz sind.
KI kennt keine Landesgrenzen
China setzt konsequent auf neue Technologien, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Daten, die in einer einmaligen Masse im praktischen Einsatz in China gewonnen werden, sind der Treibstoff der KI. Das betonte der Verkehrsminister auch beim Besuch der Messe "Transport Logistic China" in Shanghai. Teilweise ein Heimspiel: die Messe wird von der Messe München veranstaltet und am Shanghaier Messezentrum Shanghai New International Expo Centre (SNIEC) sind die Deutsche Messe AG (Hannover), die Messe Düsseldorf und die Messe München zu jeweils einem Drittel beteiligt. An der Logistikmesse nahmen auch zahlreiche Logistiker und Standorte aus Deutschland teil, darunter auch DB Cargo Eurasia. Der Besuch einer Leitmesse in China gibt nicht nur einen guten Überblick zu den Branchentrends. Vor Ort kann dort auch bei den Deutschen Ausstellern viel über die Stimmung und Pläne der deutschen Branche bei ihren Chinageschäften erfahren werden.
Highspeed- Infrastruktur als Basis der Entwicklung
In unmittelbarer Nähe des Messezentrums liegt die Endhaltestelle des Transrapids, die Wissing ebenfalls besuchte. Dieses ehemalige Highlight deutscher Ingenieurskunst wirkt jedoch nicht nur wie ein etwas angestaubtes Science-Fiction-Modell aus dem vergangenen Jahrtausend und ist weniger Verkehrsträger, sondern eher eine Touristenattraktion. Die chinesischen Weiterentwicklungen schweben mit 600 Stundenkilometern so schnell wie ein Flugzeug fliegt; neuere Modelle sollen 1000 Stundenkilometer erreichen.
Eine Weiterführung der Shanghaier Magnetbahn durch Shanghais Innenstadt zum neuen Schnellbahnhof war geplant, konnte jedoch unter anderem wegen Anwohnerprotesten nicht realisiert werden. Dort steht quasi als Denkmal, dass auch in China nicht alle Pläne realisiert werden können, zwischen neuem Fernbahnhof und Inlandsflughafen, eine verlassene Transrapid-Haltestelle, die nie in Betreib ging. Vom Shanghaier Fernbahnhof sind in einer Stunde Fahrtzeit Städte mit über 100 Millionen Einwohner zu erreichen. Diese Dichte ist eine der Voraussetzungen für den „China-Speed“.
Über 40.00 Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecken wurden in China in wenigen Jahren gebaut. Die Züge fahren mit bis 350 Stundenkilometer, nächstes Jahr sollen 450 Stundenkilometer möglich sein. Der Schnellbahnhof, die Flughäfen und ganz Shanghai ist mit dem längsten Metronetz der Welt mit über 800 km Strecke vernetzt, das mit Metronetzen der Nachbarstädte zusammenwächst. Elektromobilität ist in China in erster Linie schienengebunden. Das sollte bei dem Hype um Elektroautos nicht vergessen werden. Von einer Reisedauer für die 612 Bahnkilometer von Hamburg nach München unter zwei Stunden ist Deutschland noch weit entfernt.
Chinas Entwicklungserfolg beruht weniger auf Subventionen. Es basiert auf einem langfristigen, flexiblen Entwicklungsplan, einer guten Infrastruktur, auf Digitalisierung, auf KI und ergebnisorientierter Umsetzung. Von diesen Erfahrungen kann Deutschland profitieren. Und: das chinesische Entwicklungsmodell orientiert sich nur zum Teil an westlichen oder gar an vormals osteuropäischen Staaten. Es hat eher Elemente aus südkoreanischer oder japanischer staatlicher Industriepolitik, welche auf die Besonderheiten in China angepasst worden sind.
Die eigentliche Gefahr des Westens ist, den technologischen Anschluss zu verlieren
Ohne Kooperationen mit China verliert Deutschland den technologischen Anschluss. Dies dürfte der Hauptgrund dafür sein, warum die großen deutschen Autokonzerne gegen Zollschranken sind, die auch ihre Aktivitäten in China belasten würden. Nach dem neuesten Ranking sind chinesische Autokonzerne Weltmeister bei Innovationen. Sie stehen für 46 Prozent aller Innovationen. 2019/20 lag der Anteil chinesischer Autobauer an der Innovationsstärke noch bei 21 Prozent. Die deutschen Autohersteller fielen in Summe zurück. Ihre Innovationsstärke sank im selben Zeitraum von 45 Prozent auf aktuell 23 Prozent.
Wissing plädierte schon früh für den Ausbau der chinesisch-europäischen Schienenwege
Als rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister legte Wissing bereits die Grundlagen für seine Chinabeziehungen. „Ein wichtiger Teil der Neuen Seidenstraße sind die Schienenverbindungen“, so Wissing in einer Rede 2017 vor dem rheinland-pfälzischen Landtag. Wissing wies auf die enormen Chancen einer Zusammenarbeit hin, ohne die Risiken auszuklammern. Grundlage für gute Beziehungen und die Lösung von Risiken sind Gespräche, gegenseitige Delegationsbesuche. Darauf sollten konkrete gemeinsame Vereinbarungen aufbauen.
Asia Media Service, Dr. Thomas Kiefer
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