5. September 2025
Buchtitel sollen zum Kauf locken und sind daher gerne etwas reißerisch formuliert. „Der Auto Schock“ – in Frank Sierens Buch wird deutlich, dass der Schock besonders fassbar ist, wenn aus dem dynamischen Reich der Mitte auf das dahindümpelnde Europa gesehen wird. Wie China uns anhängen konnte, so der Untertitel, wird schnell deutlich: Europa hängt sich selbst ab. „Wir haben die Chinesen unterschätzt, müssen wir nüchtern feststellen“, so Sieren. „Die größten Probleme sind nicht die staatlichen Subventionen und der Technologieklau, sondern vielmehr die Offenheit chinesischer Kunden für neue Technologien und ein Staat, der Unternehmen hilft, ihre Innovationskraft zu entfalten, eben nicht nur mit Zuschüssen.“
Sieren zeigt dies anhand von Audi/VW und vieler chinesischer Autokonzerne auf. Die Unternehmensporträts sind gespickt mit Hintergrundberichten, Fakten und Daten, die bis ins erste Halbjahr 2025 reichen. Der Autor kann dabei auf seine langjährige Erfahrungen in China und glänzende Kontakte zurückgreifen. Die meisten vorgestellten chinesischen Unternehmen sind Privatunternehmen, die noch von charismatischen Gründern geleitet werden. Sie sind sehr unterschiedlich aufgestellt – es wird deutlich, dass es das chinesische Unternehmen an für sich nicht gibt.
Beispiel BYD. Niedrige Gewinnmarken bedeuten nicht unbedingt niedrigere Gewinne. „BYD macht im Grunde das, was Fielmann mit der Optik gemacht hat: niedrigere Margen, aber dafür mehr verkaufen und so den Markendurchschnitt drücken, ohne mit der Qualität herunterzugehen“. Und während westliche Hersteller lange auf schlanke Produktion, die zur dürren Produktion ohne Muskeln verkam, setzten, hat BYD eine erstaunliche Fertigungstiefe. Die Gründer von BYD und von Geely sind die erste Gründungsgeneration der privaten chinesischen Autokonzerne. Sieren erzählt auch deren Lebensgeschichte: vom armen Bauernkind zum Multimilliardär.
Auch die zweite Gründergeneration machte noch große Entwicklungsschritte mit, wie Lei Jun, der als zehnjähriger mit einer selbstgebauten Lampe das erste elektrische Licht in sein Dorf brachte. Mir Xiaomi übertrug er die Philosophie des Smartphons in kurzer Zeit auf Elektronikgeräte für alle Lebenslagen. Das ist mehr als nur ein Smartphone auf vier Rädern. Wie bei seinen Elektronik-Produkten wird direkt mit den Kunden kommuniziert, Kritik kommt ungefiltert und in Echtzeit an. Zudem führte die smartphone-Mentalität der schnellen Modellwechsel und Updates auch zu einer enormen Entwicklungsgeschwindigkeit bei seinen Fahrzeugen. Sein SU7 ist ein an die Kundenwünsche angepasstes Erfolgsmodell – bis es durch ein Versagen des Autopiloten zu einem tödlichen Unfall kam. Doch dies wird offen kommuniziert, die Regierung führt in Ansprache mit den Autokonzernen umgehend Beschränkungen ein. Xiaomi startet jetzt auch in Europa durch.
Auch die Staatsunternehmen haben sehr unterschiedliche Profile. Chinas größter Auto-Exporteur Chery wird von Yin Tongyue wie ein Start-Up geführt. In der kurzen Unternehmensgeschichte steuerte er Chery durch existenzielle Krisen, die den Konzern nur leistungsfähiger machten.
Mit einem Chery LAECoo fährt Sieren durch Südafrika und zeigt wie China in Zukunftsmärkten zum Marktführer wird. In Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt, legen Chery und andere chinesische Marken schnell zu, während VW’s Marktanteil in Indien bei 1,4 Prozent liegt.
Was bedeutet dies für unsere Zukunft? so der Untertitel. Dazu gibt es in Interviews einige prägnante Äußerungen. „Wir können noch sehr viel von den Deutschen lernen. Wir schätzen eure Ingenieurskunst noch immer. Aber inzwischen können die Deutschen auch von uns lernen. Und wenn beide Seiten verstanden haben, dass man voneinander lernen kann, dann ist es sehr einfach, gut zusammen zu arbeiten,„ so Wang Xiang, CEO von Xiaomi.
Lernen, Offenheit für Neues. Dies zieht sich durch die einzelnen Kapitel des Buches. Staatsunternehmen werden nicht nur wie Start-Ups geführt. Die chinesischen Autokonzerne investieren auch viel in Startups und kooperieren branchenübergreifend mit vielen Partnern.
Diese sektorübergreifende Kooperationen verdeutlicht Sieren am Beispiel Huawei, der in kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Autozulieferer aufstieg, mehr noch, der Kerntechnologie in smarten Elektrofahrzeugen definiert.
Frank Sieren hebt in China mit einer Passagierdrohne ab. Auch hier fliegen chinesische Unternehmen voran. In der EU ist man offensichtlich nicht in der Lage, solche Projekte aus eigener Kraft zu finanzieren und die regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen.
Und nun? fragt der Autor in seinem Ausblick. „Wenn Du sie nicht besiegen kannst, verbünde dich mit Ihnen“. Dabei muss uns klar sein, dass bei vielen Zukunftstechnologien chinesische Konzerne weiter wie wir sind. Die deutsche Autoindustrie muss sich selbst neu erfinden, so wie sich die vormals drögen chinesischen Autokonzerne neu erfanden.“
„Das Allerwichtigste jedoch: wir müssen nun schnellstens lernen, die Welt mit den Augen der andere zu sehen. Dafür müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir global die Maßstäbe diktieren". Donald Trump, der seine Maßstäbe global diktieren möchte und dadurch nicht nur die deutsche Autobranche hart trifft, taucht nur am Rande auf. Ebenso das zweite Zukunftsthema, der Klimawandel, der ein wichtiger Grund für Chinas Umsteuern auf Elektromobilität ist. Interessant wäre es auch, den ganzheitlichen Ansatz chinesischer Industriepolitik zu beleuchten, den Ausbau grüner Energien, die grüne Elektromobilität braucht.
Doch dies sind weiterführende Themen und „Der Auto-Schock“ ist ein Buch, das viele Leser sicherlich immer wieder zu Hand nehmen. Gespickt mit Fakten und durch die Unternehmensreportagen, durch Berichte von Testfahrten oder dem Testflug - spannend zu lesen.
Frank Sieren ist einer der führenden deutschen China-Experten. Der Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer lebt seit 1994 in Peking.
Ausgabe: Hardcover, mit Schutzumschlag, 272 Seiten, 13,5x21,5cm
Erscheint am: 10.09.2025
ISBN: 978-3-328-60413-6
Verlag: Penguin
Preis: 24,00 Euro
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Inhaltsübersicht und Leseprobe
Frank Sieren
VIDEO: Deutsche Autokrise in China: Dann enden wir als Freizeitpark für Chinesen // Frank Sieren
ASIA MEDIA SERVICE, Dr. Thomas Kiefer
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